Hallo zusammen,
ich bring jetzt einfach mal kurz eine Erfahrung ein, die ich in den letzten Wochen gemacht habe ...
Lage: Ich war es satt, zu unseren Hobbymusikertreffen jeweils einen dicken Aktenordner voll Notenblätter mitzuschleppen, weil erst beim Treffen besprochen wird, was wir spielen wollen. Daher hab ich mich etwas intensiver mit den Möglichkeiten einer Tabletnutzung als elektronisches Notenblatt beschäftigt.
Hardware: Wenn man mit einer dargestellten Notenblattseite zufrieden ist, sind Tablets in der Größenordnung von >12" (bei 16:10 Bildformat) bzw. >13" (bei 16:9) empfehlenswert. Ich habe auch mal mit einem 10" Tablet (16:10) rumprobiert, aber mir war die Blattdarstellung schlicht zu klein. Ideal wäre wohl 15", aber solche Tablets (mit Akku!) gibt's eher wenige, und die haben häufig schlechte Kritiken bekommen. Für eine echte Doppelseitendarstellung sind Displays ab 20" sinnvoll, wobei 22" schon eher angenehm sind. Blöderweise sind die entsprechenden Monitore (an die man dann noch den eigentlichen Rechner und ggf. eine Powerbank irgendwie dranpömpeln muss) aber arg schwer, so dass der Gewichtsvorteil gegenüber dem Aktenordner komplett weg ist. Selbst die leichtesten 22" liegen bei ca. 4 kg tutto completo. Da ist der Aktenordner sogar schon leichter - wenn auch schlechter zu durchsuchen ...
Ich bin letztlich bei einem Samsung Note Pro 12,2" Tablet mit 16:10 Format und Stift (s.u.) hängen geblieben und finde es recht akzeptabel. Größer wäre halt netter gewesen. Dafür wiegt das Teil aber auch nur rund 1 kg, und der Akku hält viele Stunden lang. Immerhin kann man sich ja die elektronischen Notenblätter (typisch PDF- oder sonst ein Pixelformat) per Software weißrandabschneidend auf den darstellbaren Bereich einkürzen, so dass die Noten auf dem Blatt optimal groß (besser: nicht unnötig klein) erscheinen.
Software: Nach einigem Rumprobieren bin ich bei dem androiden Platzhirsch MobileSheetsPro (MSP) hängen geblieben, weil der die meisten brauchbaren Features auf sich vereinigt. Eine "honorable Mentioning" verdient aber auch noch das Programm Librera Reader, das, eigentlich als allgemeiner PDF-Reader konzipiert, ebenfalls einen musikorientierten Darstellungsmodus mitbringt. Sein Autor hat sich wirklich wirklich bemüht, noch einige Features speziell auf meinen Wunsch hin einzuarbeiten und hat sogar in einem speziellen Feature die Nase vorn. Insgesamt überzeugt mich das MSP aber letztlich doch mehr.
Problemzone Blättern: Wegen der gerade mal einseitigen Darstellung auf den tragbaren, kleineren Tablets muss man recht häufig blättern. Das macht man, zumindest wenn man ein Blasinstrument spielt, lieber mit den Füßen, weil man ja die Finger nicht vom Instrument wegkriegt. Dazu eignen sich bei beiden erwähnten Programmen Bluetooth-Fußpedale (ich habe ein Doppelpedal von Donner), die sich bei allen getesteten Tablets problemlos einbinden ließen.
Ich mag es aber so gar nicht, von den Noten auf der nachfolgenden Seite überrascht zu werden, und möchte lieber schon sehen, wie es weitergeht. Das ist mit dem kontinuierlichen vertikalen Durchschiebemodus möglich, bei dem die Notenblätter wie bei einer Klorolle von unten nach oben durchgeschoben werden können und das Blättern eben nicht eine volle Seite, sondern nur einen Teil einer Seite weiterblättert. Bei mir hat sich ca. 50% der Blattlänge als gut erwiesen.
Besondes schick ist, wenn das Programm zusätzlich ein automatisches Scrollen mit festlegbarer Geschwindigkeit erlaubt. Ist die richtig eingestellt, müsste man theoretisch nie selber blättern. Das klappt in der Praxis aber eher nicht: Man spielt die Stücke mal langsamer, mal schneller; es gibt eingebaute Wiederholungen und Rücksprünge, die ein reiner Pixelhaufenschieber nicht von sich aus erkennen kann. Daher erfordert alles, was mehr als ein linear durchlaufender Zweiseiter ist, ein Eingreifen während des Spielens.
Hier unterscheiden sich nun die Konzepte von Librera und MSP. Während Librera neben einem kontinuierlichen Auto-Scrolling auch zwischendurch ein "manuelles" Blättern per Fußpedal zur Anpassung erlaubt, bricht MSP bei einer Pedalinteraktion das Auto-Scrollen leider ab. Librera lässt eine recht feine Auto-scrollgeschwindigkeitseinstellung zu, während MSP nur feste Stufen beherrscht. Dabei ist bei meinen Stück die Langsamste typischerweise schon so schnell, dass ich ohne Interaktion selbst durch drei Seiten nicht automatisch durchkomme. Dafür gibt es bei MSP aber eine sehr flexible Auswahl, welche Aktionen man mit den einzelnen Pedalen assoziieren kann. Ich habe mich letztlich auf Vorschlag eines MSP-Forenmitglieds für eine Belegung "links: Rückwärts blättern" + "rechts: Start/Stop des Autoscrollens" (als Toggeln) entschieden, mit dem ich einigermaßen klarkomme.
Das interaktive Blättern (egal, ob mit der MSP-Setzung oder mit einem einfachen Vorwärts-/Rückwärts-Blättern wie bei Librera) findet aber da seine Praktikabilitätsgrenzen, wo Wiederholungen recht lang sind und über den auf einer Tabletseite darstellbaren Bereich hinaus gehen. Hier hilft bei MSP die Möglichkeit, Seiten mehrfach in einer Abspielsequenz anzeigen zu lassen, wirklich einfach zu beschneiden und mit eigenen Anmerkungen (z.B. auch Streichungen von Notenzeilenenden vor/hinter den Wiederholungsbereichen) zu versehen. Hierdurch lässt sich mit überschaubarem (nicht: vernachlässigbarem!) Arbeitsaufwand aus einem reihefolgemäßig recht verschachtelten PDF ein praktisch linear durchspielbares Etwas bauen, bei dem man letztlich einfach nur der Reihe nach die Notenzeilen lesen muss. Wieviele "Seiten" es dann schlussendlich werden, ist bei einem rein elektronischen Blatt ja ohne Bedeutung. Es fällt nix vom Ständer runter ...
Der Librera-Autor hat auf meinen Speziellen Wunsch eine "Da capo" Funktion für die Musikerdarstellung eingebaut, bei der am Ende eines Stücks mit einer einfachen "Vorwärts"-Pedalinteraktion wieder zurück zum Anfang gesprungen werden kann. Auch bei durchlaufendem Autoscroll, das ja am Ende des Stücks anhalten muss, funktioniert dies und lässt das wieder auf Anfang gesprungene Stück ab dort dann auch wieder weiterscrollen. Da dabei die gerade gezeigte letzte Seite des Stücks voll verlassen wird, hat er auch noch eine automatische Letztseitenmarkierung (wie am Ende der alten Kassenbonrollen) eingebaut, damit man weiß, dass ein nächster Tritt auf das Vorwärts-Pedal die aktuell gespielte Zeile komplett unsichtbar machen wird.
Letztlich ist wohl immer eine gewisse Bearbeitung von PDFs erforderlich, um z.B. Crescendos, Phrasierungen usw. entsprechend den Absprachen mit den Musikerkollegen festzuhalten. Hier ist eine Stifteingabe schon sehr angenehm, verglichen etwa damit, dass man versucht, filigrane Zeichen in die Partitur mit dicken Wurstfingen einzubringen. Hier sind Stiftsysteme gegenüber den Standard-Tablets klar im Vorteil. Gerade bei diesen Funktionen zickt Librera leider ziemlich rum, während MSP das anstandslos organisiert bekommt und mehrere interessante Annotationsmöglichkeiten (deckender Stift, nicht deckender Textmarker, Radiergummi, ... mit Stiftdicken- und Farbvariation und ...) bietet.
Insgesamt werde ich aber schon noch so einiges an Übung brauchen, bevor das Notenlesen vom Tablet wirklich reibungslos flutscht. Ich bin aber optimistisch, dass die aktuell noch sehr kontrolliert zu verrichtende Blätteraktion sich bei mir irgendwann ins Unterbewusste verziehen wird.
Soviel mal als kurzes(?) Eingangsposting zum Thema ...
Tschüssi,
Petra
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