Angeregt durch einen gerade aufgemachten Technik-Thread (also wann drückt wer welchen Knopf?) dachte ich, dass es mehr als angebracht wäre, sich mit der essentiellen Basis, nämlich einer guten Spieltechnik zu beschäftigen. Denn vor jedem Ton kommt eine Bewegung (ja - ich weiß - oder der Sequencer...).
Hierzu ein paar grundsätzliche Gedanken.


1. Jemand, der Klavier spielen kann, wird alle Tasteninstrumente spielen können.
(Achtung, "Tasteninstrumente" ist ein musikwissenschaftlich falscher Begriff, aber ich verwende ihn hier zur besseren Veranschaulichung)
Das ist zwar etwas grob ausgedrückt und z.B. alle Cembalisten werden dagegen Einwand erheben, aber in der prinzipiellen Richtung und vor allem im Umkehrschluss stimmt es. Denn niemand, der lediglich auf den billigen Plastiktasten der Synthesizer spielen kann, wird sich auf der Klaviertastatur oder auf anderen, vielleicht sogar tückischen Tastaturen heimisch fühlen.

Warum?

Das Klavier bietet seinem Gegenüber, also unseren Fingern und dem daran angeschlossenen Bewegungsapparat, eine adäquate Mechanik. Der Widerstand dieser Mechanik muss mit Kraft, also mit dem Erzeugen von Anschlagsgeschwindigkeit und/oder mit Armgewicht in Bewegung gesetzt werden.
(Im Vergleich dazu wird bei Synthesizern lediglich die Anschlagsgeschwindigkeit gemessen und in Dynamik übersetzt, was das Anschlagsgewicht und damit viele, klavierspezifische Anschlagsmöglichkeiten ignoriert.)
Die Klaviermechanik formt bei richtiger Spieltechnik unsere Finger dahingehend, dass sie voneinander unabhängiger werden und dass jeder für sich kräftiger wird, ohne dass wir unser Spiel von Kraftausübung dominieren lassen. Gleichzeitig haben wir es mit einem Widerstand zu tun, der uns eine sehr exakte Dosierung in seiner Überwindung bietet, das heißt es fällt uns wesentlich leichter, damit dynamisch präzise zu spielen als mit einer ungewichteten, fast widerstandslosen Plastiktastatur.

Ich finde es immer wieder amüsant zu beobachten, dass bei vielen spieltechnischen Autodidakten deren Tastaturen im mittleren Bereich eine leichte Delle nach unten aufweisen - achtet einmal darauf. Oder bei den ganz harten Fällen sogar gespaltene Tasten vorhanden sind. Beides ist ein Zeichen von roher Kraftanwendung, die einem guten Klavierspieler niemals passieren würde. Eine gute Spieltechnik könnte also auch einen Gang in die Werkstatt ersparen.

Warum könnte diese Klaviertechnik einem "Keyboarder" sehr zugute kommen?
Weil er es häufig mit mehreren Tastaturen und damit mit völlig unterschiedlichen Tastaturcharakteristika zu tun hat und sie alle gleichzeitig und souverän spielen sollte. Das geht von Plastik/ultraleicht über Plastik/semigewichtet bis zu Holz/simulierte Hammermechanik, was einer großen Spannbreite entspricht. Aber wie gesagt: wenn man Klavier spielen kann, kann man ...

Es würde zu weit führen, in diesem Kontext eine gute Klaviertechnik en detail zu beschreiben. Daher beschränke ich mich im Folgenden auf Grundlegendes. Falls es dazu Fragen geben sollte, dann immer her damit.

Es gibt eigentlich zu viele Grundmerkmale einer guten Spieltechnik. Das Aufzählen der wichtigsten ist daher schwer und gleichzeitig immer anfechtbar, da eben "viele Wege nach Rom führen" - auch hier. Daher beziehe ich mich explizit auf meine Erfahrungen mit mir und meinen Schülern. - Das also wären sehr wichtige Punkte auf meiner Liste:

  • Immer locker spielen - jede Art von Krafteinwirkung ist zunächst verboten (außer bei großen Akkorden).
  • Jeden Finger wie ein "Hämmerchen" betrachten und bewegen (keine Assoziation mit der Kraft eines Hammers, sondern mit den Hämmerchen der Hammermechanik). Das heißt mit dem Fingerwurzelgelenk anschlagen und diesen Anschlagsimpuls direkt auf die Fingerspitze übertragen, wobei die Betonung auf "direkt" liegt. Die beiden Gelenke innerhalb der Finger sollten daher keine Energie verbrauchen, indem sie sich bewegen, d.h. durchdrücken. Der Finger sollte also ein in sich quasi starrer im Sinne von unbewegter Körperteil sein, was aber durch eine lockere Haltung ohne jede Krafteinwirkung erreicht werden muss! "Berüchtigt" - weil häufig praktiziert - ist dabei das Durchdrücken des letzten Fingergelenks, also des letzten direkt vor der Fingerkuppe. Auch das sollte in seiner unbewegten Haltung verbleiben! Bei richtiger Haltung bilden die Finger von ihrer Wurzel bis zu den Fingerspitzen eine etwa Viertelkreis-artige Form. Man könnte die Haltung mit derjenigen vergleichen, die unsere Hand beim Benutzen einer PC-Maus einnimmt.
  • Die Ebene der Fingerwurzelgelenke sollte eine möglichst perfekte Horizontale bilden. Da unsere kleinen Finger deutlich kürzer sind und viele dazu neigen, sie in einem ähnlichen Winkel auf die Taste aufzusetzen wie die anderen Finger, fällt diese Ebene häufig schräg nach außen ab, was die Bewegungsfähigkeit des kleinen und des Ringfingers einschränkt. Wenn man die kleinen Finger in einem steileren Winkel aufsetzt, also die Fingerkuppen etwas näher zur Hand rückt, gleicht man das Defizit der Fingerlänge aus und sorgt für die ideale, horizontale Ebene der Fingerwurzelgelenke.
  • Außerdem sollte diese Ebene den höchste Punkt der Hand darstellen - vor allem beim ein- oder zweistimmigen Spiel. Bei Akkorden wird sich das durch das Erfordernis des Erreichens der verlangten Spanne relativieren. Wie sich streng genommen alles je nach Stück oder Passage relativiert. Schließlich haben wir es hier mit einem "Bewegungssport" zu tun, bei dem ich in diesem Kontext nur eine gesunde Ausgangsposition zu definieren versuche.


Warum diese Aufmerksamkeit gegenüber den Fingerwurzelgelenken? Wir wollen den Fingern das Spielen ja erleichtern und dafür brauchen sie eine gute Basis. Stellt Euch vor, dass die Hand direkt mit diesen Gelenken aufhört und dass genau dort eine haltungstechnische, statische Basis, ingenieurstechnisch gesprochen, für ein gutes Fingerspiel gelegt werden muss, dann fällt Euch ein Verständnis dafür vielleicht leichter.


  • Das Handgelenk sollte zunächst ruhig, aber locker in etwa auf Höhe der weißen Tasten liegen. Das ist die Basis. Viel später kommen impulsgebende oder federnde Aspekte hinzu, d.h. zwingende Gründe, es zu bewegen. Das kommt aber - wie gesagt - später. Häufig kann man jedoch bei Autodidakten beobachten, dass das Handgelenk bei jedem Fingeranschlag mit nach unten bewegt wird. Das ist eine spieltechnische Todsünde! Zum einen wird dadurch unnötige Kraft erzeugt, die sich unerwünscht auf den Anschlag und dessen Differenzierung, also Dynamik auswirkt, und zum zweiten wird dadurch verhindert, eine oder mehrere musikalische Linien in einem Fluss zu halten. In diesem Fall könnte man sagen: "you´ll get what you see" - nämlich abgehacktes Spielen. Bei Akkorden sieht die Sache wiederum ganz anders aus, aber hier sollte der generelle Impuls aus dem Unterarm kommen. Dann wäre das Handgelenk eine Art "Durchgangsstation" und kein Wackelkandidat, der letztlich auch wieder Kraft kostet.
  • Womit wir beim Arm wären. Der Oberarm sollte vor allem locker hängen. Er sollte mit dem Ellenbogen den erforderlichen Bewegungen des Handgelenks folgen oder diese Bewegung sogar anschieben. Es kommt auf die jeweilige Spielsituation an. Auf keinen Fall sollte er an den Körper gepresst werden oder nach Banker-Mentalität den Ellenbogen nach außen drücken. Der Unterarm sollte in etwa eine Linie mit Handgelenk und Fingerspitzen bilden. Unter Umständen kann er dabei etwas nach unten gerichtet sein, auf keinen Fall jedoch stark nach unten oder sogar nach oben. Diese Unterarm-Haltung wird durch die Sitzhöhe bestimmt, die daher sorgfältig justiert werden sollte.
  • Auch der Rest des Körpers ist wichtig, denn der hört ja nicht mit unseren Armen auf. Die Schultern sollten nicht verkrampft, d.h. nach oben gezogen sein und unser Rücken sollte wie in guten alten Schulzeiten gerade aufgerichtet und nicht nach hinten durchgedrückt sein. Nach diversen Stunden des Übens oder der Probe (die Ihr hoffentlich im Sitzen spielt) wird es Euch genau dieser Rücken danken, dass Ihr so diszipliniert wart.


Ich halte -ehrlich gesagt - nichts vom stehenden Spielen, ich kann es auch gar nicht. Das Stehen bedingt völlig andere Gelenkwinkel, als wir sie von einer klassischen Klaviertechnik gewohnt sind. Für das Teppich-Legen reicht es sicherlich, aber für gutes, solistisches Spiel? Man muss sich überlegen, ob es wichtig ist, den optischen Vorteilen eines stehenden Spiels die positive, weil nahtlose Übernahme der eigenen Übungsergebnisse vom Klavier/Keyboard zu Hause direkt auf die Bühne zu opfern.


2. Anlauf - Plädoyer für eine gute Spieltechnik

Da in diesem Forum ja etwa 90% aller User aus dem sog. U-Bereich kommen, möchte ich genau auf deren ewige Versuchung (im biblischen Sinn) eingehen, die da heißt: neue Technik/Sounds sind das Nonplusultra.
Falls man damit tatsächlich zufrieden sein sollte, kann man natürlich nichts dagegen sagen. Aber ist das bei den meisten wirklich der Fall?
Ich kann häufig beobachten, dass das Kaufen von neuen Geräten oder Software nur eine Illusion hervorbringt: es klingt besser, also ist man als Musiker besser geworden. Und so dreht sich ein Großteil der Musikergespräche um neue Anlagenteile oder neue Umbauarbeiten/Verbesserungen der eigenen Geräte. Jeder macht mit und jeder denkt, dass er dadurch, also durch das Öffnen seines Geldbeutels, ein besserer Musiker geworden ist.
Welch ein Irrtum! Und vor allem ein teurer, wenn ich an die ständigen Wertverluste beim Verkaufen der ausgedienten Sachen denke.

Fakt ist, dass jeder, der sich spieltechnisch pemanent weiterentwickelt oder zumindest durch regelmäßiges Üben auf einem guten Stand bleibt, mit einer mittelmäßigen oder leicht überholten Anlage einen übungsunwilligen, aber ständig auf dem neuesten Technikstand befindlichen Kontrahenten an die Wand spielen wird. Aber nicht Geiz, sonder neues Equipment scheint geil zu sein. Üben versprüht den S*xappeal einer langen Unterhose und was sollte man darüber schon mit Kollegen sprechen oder protzen?

Leider schießen auf die heutigen Keyboarder tausend Versuchungen ein und alle suggerieren, dass man mit dem Kauf eines neuen Produktes besser werden wird. Wer darauf hereinfällt, wird sich wahrscheinlich auch jedes Jahr das neue IPhone kaufen, denn er scheint sehr manipulierbar zu sein. Die Zeiten der keyboardtechnischen Revolutionen sind aber vorbei. Davor hatten die Gutverdiener tatsächlich den berühmten Vorsprung durch Technik, sei es nun Tangerine Dream und die "Elektroniker", die sog. Superbands der Rocksparte oder die Pop-Megaseller. Heute ist diese Technik zu moderaten Preisen eigentlich allen zugänglich und es wird bei den neuesten Geräten nur noch ein "Mehr von Allem" angeboten. Doch diese Steilvorlage, nämlich die "Sozialisierung der Produktionsmittel" wurde nicht aufgenommen, weil sich mittlerweile viele Keyboarder über Midifile-Programmierer zu Musikproduzenten entwickelten oder gar von spielenden zu abspielenden Hinter-Den-Tasten-Sitzer mutierten und darüber das Üben einstellten. Eine beschämende Entwicklung. Und wie ich in einem anderen Post schon schrieb: dagegen machten die von mir nicht gerade mit Wohlwollen betrachteten Gitarristen enorme spieltechnische Fortschritte und stehen heute nach einer Stagnation in den 80er Jahren wieder unangefochten und mehr denn je im Fokus. Die Keyboarder dürfen sich mit dem Teppich-Legen für die Gitarrensoli begnügen. Und das vollkommen zu Recht, da die Gitarristen das Üben nicht mit dem Programmieren/Produzieren eingetauscht haben - grob vereinfacht ausgedrückt.

Das einzige Genre, das noch vernünftige Tastentalente hervorbringt, ist - neben der Klassik - der Jazz. Und das zu 99% wieder einmal auf dem Klavier. Warum wohl?

Dieses soll kein Plädoyer gegen die Technik/Elektronik darstellen, sondern für eine gute Spieltechnik und das regelmäßige Üben. Warum leisten sich gute und und erfolgreiche U-Musiker Sounddesigner oder Bühnentechniker? Damit sie ihre Zeit wieder dem Wesentlichen widmen können, nämlich dem Üben. Die Normalverdiener können sich so etwas nicht leisten. Also sollten sie versuchen, beide zeitlichen Anforderungen in eine gesunde Balance zu bringen.

Zum Schluss noch zwei abschreckende Beispiele.
Keith Emerson, sicherlich einer der besten Rock-Keyboarder ever, spielte zum Teil sehr virtuose Sachen. Er übte viel und er trat häufig auf. Leider beides mit einer falschen Technik, in der er vor allem viel zu viel Kraft einsetzte. Es endete damit, dass er irgendwann plötzlich das Gefühl hatte, seine rechte Hand sei aus Gummi und versagte sich völlig seinen Befehlen. Das führte zu insgesamt 3 Handoperationen, nach denen er den kleinen und den Ringfinger seiner rechten Hand nur noch sehr mühevoll bewegen kann. Das kommt bei virtuosem Spiel einer Amputation gleich und das hört man ihm seitdem leider an.
Weitere Gefahr: Sehnenscheidenentzündungen, die immer ein Zeichen von ungewollter Krafteinwirkung darstellen. Leider können sie sich zu chronischen Entzündungen auswirken. Eine medizinische, vom Arzt verordnete Lösung gibt es dabei nicht und die absolute Ruhig-Stellung des Gelenks mit Gips hilft nicht, denn die Entzündung bricht nach der unnatürlichen Ruhestellung mit den ersten Bewegungen wieder aus. Das einzige Mittel ist, reduziert und mit der richtigen Technik, also ohne Kraft die Entzündung "herauszuspielen". Die Erfahrung habe ich vor vielen Jahren persönlich gemacht und viele Musiker konnten mir das bestätigen.


Also - wie gesagt - falls Fragen aufgekommen sein sollten, nur her damit. Allerdings wird sich ein Fernunterricht damit nicht erzielen lassen, denn diese Materie verlangt nach Interaktion mit einem Lehrer und nach dessen Rückmeldungen. Aber ich kann unter Umständen initiale Anschübe geben, bei einigen durch lange Unterrichtsabstinenz verursachten Defiziten Reparaturtipps geben oder bei schwierigen Passagen Ratschläge zum Üben übermitteln.